Autorin: Anne Klein

Kein Fleisch mehr?

Eine Portion Sonntagsbraten und zwei Schinkenbrote pro Woche entsprechen den Empfehlungen der DGE. Deutlich weniger als bisher bei vielen üblich: Derzeit vertilgen die Deutschen im Schnitt pro Woche ein Kilo. Wenn man einberechnet, dass zwölf Prozent der Bevölkerung überhaupt kein Fleisch essen und weitere 29 Prozent als Flexitarier nur sehr wenig, wird klar: Die verbliebenen Durchschnittsfleischesser verschlingen binnen sieben Tagen sogar deutlich mehr als ein Kilo Tier. Viele Menschen fragen sich: Kann vegetarisch essen auf Dauer denn wirklich gesund sein? Dieser Frage gehen Wissenschaftlerinnen seit Jahrzehnten nach und die Antwort lautet definitiv: Ja. Aktuelle Studien liegen auch der neuen Empfehlung der DGE zugrunde. Schon in den ersten Wochen würden sich bei einem Fleischverweigerer wahrscheinlich wichtige Blutwerte verbessern: Es fände sich zum Beispiel weniger LD-Lipoprotein in seinem Blut, das schlechte Cholesterin, weil es sich bei zu hoher Konzentration in Arterien ablagert, was auf Dauer Herz-Kreislauf-Erkrankungen befördert. Der Insulinlevel würde wahrscheinlich auf ein gesundes Maß sinken, was das Risiko für Diabetes senken würde. Und man könnte binnen weniger Wochen durchaus ein paar Kilo Gewicht verlieren.

Weniger Krebs

Wissenschaftler der University of Stanford in Kalifornien 2022 teilten 22 eineiige Zwillingspaare in zwei Gruppen auf. Die eine Hälfte stellte ihre Ernährung auf gesunde Pflanzenkost um, dazu gab es Fleisch aller Arten. Die andere Hälfte bekam die gleiche Kost, ersetzte aber das Fleisch durch pflanzliche Proteinquellen wie Hülsenfrüchte und Nüsse, lebte also vegan. Bereits nach vier Wochen hatte die zweite, vegane Gruppe bessere Blutwerte als die Fleischesser, nach acht Wochen sogar deutlich bessere. Der Effekt lässt sich nur durch den Fleischverzicht erklären. An den Genen kann es kaum liegen, weil eineiige Zwillinge in dieser Hinsicht identisch sind. Und auch sonst ähnelten sie sich: trieben gleich viel Sport, tranken und aßen – bis auf das Fleisch – exakt das Gleiche. Durch eine Ernährungsumstellung würde sich wahrscheinlich auch die Epithelzellen im Darm recht bald erholen. Der grundlegende Zusammenhang dahinter ist schon fast ein halbes Jahrhundert alt: 1975 konnten Wissenschaftler erstmals zeigen, dass Menschen häufiger Darmkrebs bekommen, wenn sie viel rotes Fleisch essen – also Muskelfleisch von Säugetieren wie Rindern, Schweinen oder Lämmern. Wer Vegetarier wird, riskiert weniger geschädigte Epithelzellen.
Seit 2015 stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verarbeitetes Fleisch – also geräuchertes, gepökeltes, verwurstetes – als krebserregend ein. Rotes Fleisch führt die WHO eine Stufe tiefer auf – als „wahrscheinlich“ krebserregend, weil die Datenlage in diesem Fall nicht ganz so eindeutig ist. Streng wissenschaftlich genommen ist der kausale Mechanismus, wie Krebs durch Fleischkonsum im Körper entsteht, im Menschen immer noch nicht ganz klar. Zu diesen Fragen gibt es neue Erkenntnisse aus den 2020er-Jahren. Viele davon aus epidemiologischen Studien, also Auswertungen von Daten über große Bevölkerungsgruppen. Die UK Biobank in Großbritannien hat mehr als eine halbe Million Menschen im Alter von 40 bis 69 Jahren zwischen 2006 und 2010 erfasst, ihre Speichel-, Urin- und Blutproben langfristig eingelagert. Seit mehr als einem Jahrzehnt füllen diese Menschen regelmäßig Fragebögen zu ihren Essgewohnheiten und Lebensumständen aus, man kennt ihre genetischen Informationen, es gibt regelmäßige Nachuntersuchungen.

Riesige Datenmenge

Dank der Detailfülle der UK Biobank kann man ziemlich genau untersuchen, welche Rolle dabei die Ernährung spielt, kann andere Faktoren wie Bewegung, Alkoholkonsum oder Rauchen rausrechnen – und den Faktor Fleisch isolieren. In einer österreichischen Studie, die die Daten aus der UK Biobank zur Grundlage hatte, kam Ende 2023 heraus, dass eine pflanzenbasierte Ernährung – mit allenfalls gelegentlichem Fleischverzehr – das Risiko von Diabetes Typ 2 um 24 Prozent senkt. Die Menschen, die sich so ernährten, hatten im Vergleich zu Vielfleischessern bessere Leber- und Nierenwerte sowie niedrigere Entzündungsmarker im Blut. Auch eine zweite Studie fand gute Werte bei den Pflanzenessern: Wer sich gesund pflanzlich ernährte, hatte im Beobachtungszeitraum von rund zehn Jahren eine um sieben Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren es acht Prozent weniger, außerdem 14 Prozent weniger Chance für Schlaganfälle, 16 Prozent weniger für Herzinfarkte, insgesamt lag die Sterblichkeit um 16 Prozent niedriger als bei denen, die viel Fleisch aßen. Eine ebenfalls spannende Erkenntnis der Studie: Wer sich rein pflanzlich ernährte, dabei aber ungesund aß, also wenig Frisches, viel verarbeitete Lebensmittel, Weißmehl, abgepackte Snacks, viel zuckerhaltige Limonaden, der hatte keinerlei Vorteile.