Autorin Anne Klein

Misteltherapie

Schon seit dem Altertum folgten Heiler und Ärzte bei der Verwendung der Mistel der sogenannten Signaturlehre. Dazu gehört auch die Vorstellung, Gleiches mit Gleichem zu behandeln. Die Mistel schmarotzt auf anderen Pflanzen, und Krebs wurde als Parasit des menschlichen Körpers verstanden. Daraus schloss man früher, dass der Parasit Mistel gegen Krebs helfen könne. Auch Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, schlug vor ziemlich genau hundert Jahren die Misteltherapie gegen Krebs aus eher geisteswissenschaftlichen und weltanschaulichen Gründen vor. Seine Überlegungen wurden von der Ärztin Ita Wegman in die Praxis umgesetzt und weiter ausformuliert. Wie damals bestehen Mistelpräparate gegen Krebs auch heute noch im Wesentlichen aus dem Presssaft des gesamten Mistelkrauts, der lediglich arzneilich zur Injektion aufbereitet wird. Einige Anbieter unterscheiden bei der Produktion außerdem noch, auf welchen Baumarten die verwendeten Misteln gewachsen waren; einige andere führen eine Kontrolle und Standardisierung wichtiger Inhaltsstoffe durch. Wie auch viele Pflanzen enthält die Mistel Substanzen, mit denen sie sich vor dem Gefressenwerden, vor Pilzen oder anderen „Angreifern“ schützt. Nach solchen Einzelstoffen suchen Krebsforscher ganz gezielt, wenn es um die Entwicklung neuer Medikamente geht: Diese sind insbesondere für die Krebsmedizin interessant.

Die Mistel heute

Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Mistel daher auch unter modernen naturwissenschaftlichen Bedingungen erforscht. Und man weiß heute mehr über die einzelnen Sub-stanzen, die in den Mistelpräparaten enthalten sind: Die sogenannten Lektine interessieren die Forschung wegen ihrer immunologischen Wirkung, außerdem gibt es sogenannte Viscotoxine, die als Gift wirken. Die Effekte dieser isolierten Stoffe wurden inzwischen an Zellkulturen und im Tierversuch getestet. Sie können zwar Zellkulturen abtöten und Immunzellen stimulieren. Ob aber vergleichbare Effekte dann auch bei Patienten möglich sind, lässt sich aus solchen vorklinischen Studien nicht zuverlässig ableiten. Trotz langjähriger Forschung steht nicht fest, dass die verfügbaren Präparate das Tumorwachstum stoppen oder vor Rückfällen schützen. Obwohl die Wirksamkeit noch nicht eindeutig wissenschaftlich bewiesen wurde, ist es bei der Verträglichkeit klarer: Es gibt Hinweise darauf, dass sich Patienten mit einer Misteltherapie allgemein besser fühlen und ihre Lebensqualität insbesondere während einer Chemotherapie weniger leidet. Die gute Verträglichkeit von Mistelpräparaten während einer Chemo- oder Antikörpertherapie wurde in mehreren Studien zu verschiedenen Tumorarten sogar nachgewiesen. Die Lebensqualität der Patienten, die Mistel während einer Chemotherapie angewendet haben, war signifikant besser als bei den Patienten, die keine Misteltherapie erhielten. Die Nebenwirkungen einer Antikörpertherapie konnten reduziert werden.

Therapien ergänzen

Bei der Strahlentherapie und bei Operationen können Mistelpräparate sowohl neoadjuvant, das bedeutet vor Beginn der lokalen Therapie, als auch adjuvant, d. h. begleitend oder unterstützend die Therapien ergänzen und fördern. Eine Operation, insbesondere die damit verbundene Narkose, und auch die Strahlentherapie belasten den gesamten körperlichen Organismus erheblich. Eine vorangehende Verbesserung des Allgemeinbefindens und des Immunstatus durch eine Misteltherapie führt daher regelmäßig zu einer besseren Verträglichkeit dieser Therapien, welche nur lokal wirken sollen, aber eine schwächende Wirkung auf den gesamten Organismus haben. Die durch die Misteltherapie angeregten und dadurch vermehrt im Blut vorkommenden Granulozyten und Makrophagen verhelfen zu einer schnelleren Regeneration nach einer Strahlentherapie oder Operation. Granulozyten und Makrophagen gehören zu den weißen Blutzellen, die kranke oder abgestorbene Zellen beseitigen.

Ein gesundes, d. h. ein vielfältig reagierendes Immunsystem macht Rückfälle unwahrscheinlicher. Insofern ist die Misteltherapie auch eine vorbeugende Maßnahme im Sinne einer Rezidivprophylaxe. Die Misteltherapie kann Schmerzen, die bei fortgeschrittenem Tumorstadium auftreten können, durch ihre anregende Wirkung auf die Endorphinausschüttung verringern bzw. erträglicher machen.
Mistelpräparate gegen Krebs gibt es nur zur Injektion, nicht zum Einnehmen. In der Regel werden die Lösungen in oder unter die Haut gespritzt. Dies schaffen viele Patienten nach Anleitung und mit einiger Übung selbst.
Die allermeisten Menschen vertragen die Behandlung gut: Die Misteltherapie gilt als vergleichsweise sicher. Ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt, sollte man vor der Behandlung klären.