Autorin: Anne Klein
Placebos wirken
Als Scheinmedikamente ohne pharmakologische Wirkstoffe kommen Placebos in klinischen Studien häufig als Vergleichsgröße zum Einsatz. Dass sie überraschend starke Effekte erzielen können, selbst wenn die Studienteilnehmer das Placebo wissentlich einnehmen, konnten Wissenschaftler aus dem Department für Psychische Erkrankungen des Universitätsklinikums Freiburg nun wissenschaftlich belegen. Der systematische Vergleich von 13 Studien mit insgesamt 834 Teilnehmern zeigte einen signifikanten Effekt bewusst eingenommener Placebos, solange diese von zusätzlichen Informationen flankiert wurden. Die Metaanalyse erschien im 2021 im Open-Access-Journal Scientific Reports der Nature-Gruppe.
Täuschung ist unnötig
„Die bewusste Einnahme eines Placebos mag zwar etwas verrückt erscheinen, aber sie hat in diesen Studien gewirkt – und damit die gezielte Täuschung der Patienten und Patientinnen unnötig gemacht“, sagte Prof. Dr. Stefan Schmidt, Leiter der Sektion Systemische Gesundheitsforschung an der Klinik für Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. „Dass Placebos ohne pharmakologisch aktive Substanzen das Geschehen im Gehirn oder den Hormonhaushalt beeinflussen und erstaunliche Therapieerfolge erzielen können, wussten wir seit langem“, so Schmidt. Bisher wurde die Wirkung der Placebos jedoch der Erwartung der Patienten an ein aktives Medikament zugeschrieben. Neuere klinische Studien lieferten jedoch erste Hinweise, dass die Täuschung über den fehlenden Inhalt des Placebos unnötig sein könnte.
Kraft der Überzeugung
Um die Wirkung offen verabreichter Placebos wissenschaftlich zu belegen, verglich das Forschungsteam um Schmidt in einer systematischen Übersichtsarbeit 13 randomisierte klinische Studien mit insgesamt 834 Versuchspersonen. Die in den einzelnen Studien behandelten Diagnosen reichten von Rückenschmerzen und Reizdarmsyndrom über Depression, Fatigue und ADHS bis zu Heuschnupfen und Hitzewallungen. Allen Patienten und Patientinnen war offen mitgeteilt worden, dass sie ein Placebo erhalten. Zudem wurden sie über die prinzipielle Wirkung von Placebos informiert und um die regelmäßige Einnahme der Tabletten gebeten. Die Metaanalyse der Studien belegte laut Schmidt die erstaunliche Wirkung: „Wir konnten erstmals wissenschaftlich gesichert zeigen, dass auch offen verabreichte Placebos wirksam sein können.“ Sollten diese auch im Klinikalltag Anwendung finden, könnten sie anstelle der gezielten Täuschung zusätzliche Offenheit in die Beziehung zwischen Arzt und Patient bringen.
Positive Erwartungshaltung
Dass Placebos ohne pharmakologisch aktive Substanzen das Geschehen im Gehirn oder den Hormonhaushalt beeinflussen und erstaunliche Therapieerfolge erzielen können, ist seit langem bekannt. Bisher wurde die Wirkung der Placebos aber der Erwartungshaltung der Patienten an ein aktives Medikament zugeschrieben. Für den Placebo-Effekt gibt es zwei potenzielle Mechanismen, erklärte der Studienleiter Schmidt: Die Erwartungshaltung des Patienten (der Arzt sagt, das ist ein gutes Medikament) oder eine Konditionierung (die Einnahme der Tablette wird mit der Wirkung assoziiert).
Die noch zu klärende Frage ist, was den Patienten genau gesagt werden müsse, um eine positive Erwartungshaltung hervorzurufen. Reicht es aus nur zu sagen: Sie bekommen ein Placebo? „Ich vermute, dass wir in fünf Jahren – wenn mehr Studienergebnisse dazu vorliegen – wissen, wie Erwartungen verbal generiert werden müssen, also dass beispielsweise der nüchterne Satz: „Sie bekommen ein Placebo“‘ nicht ausreicht. Das wird derzeit geprüft“, berichtet Schmidt.
Sprechende Medizin ist wichtig
Die Botschaft der Metaanalyse ist, dass deutlich mehr Wert auf die sprechende Medizin gelegt werden muss, folgert Schmidt aus seinen Studien. „Diese zeigen ja, dass Worte potente messbare Effekte auslösen können. Sie zeigen auch, wie wichtig die Arzt-Patienten-Beziehung ist und welche Bedeutung die richtigen Worte haben. Es ist eben ganz entscheidend, wie der Arzt etwas sagt.“ Je mehr Zuversicht der Arzt dem Patienten in Bezug auf eine heilende Wirkung der angewandten Maßnahme vermittelt, umso stärker ist meist auch die positive Reaktion des Patienten. Dass die Verwendung von Placebos Ärzten die Möglichkeit gibt, die Selbstwirksamkeit und Selbstheilungskraft des Patienten zu aktivieren, ohne sie täuschen zu müssen, ist aus Schmidts Sicht ein großer Vorteil: „Das bringt weniger ethische Bedenken mit sich. Die Ehrlichkeit dem Patienten gegenüber ist auch ein Gewinn für die Arzt-Patienten-Beziehung.“