Autorin: Anne Klein

Zyklothymie

„Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ – dieses berühmte Goethe-Zitat beschreibt die Gefühle von Menschen, die an bipolarer Störung erkrankt sind. Früher wurde die Krankheit als „manisch-depressiv“ bezeichnet. Die Zyklothymie dagegen ist milder in den Stimmungsausschlägen, sie wird in den internationalen Klassifikationen der Erkrankungen als eine psychische Störung bezeichnet, die mit hypomanen und depressiven Phasen im Wechsel einhergeht, hierbei aber nicht die Schwere einer wiederkehrenden Depression oder einer bipolaren Störung erreicht. Die Leistungsfähigkeit der Betroffenen ist in der Regel nicht oder nur geringgradig eingeschränkt, die Kontrollfähigkeit ist stets erhalten. Zyklothymien finden sich nicht selten im familiären Umfeld von Menschen mit bipolaren Störungen, es handelt sich um eine deutlich abgeschwächte Form der bipolaren Störung. Die Problematik muss zur Erfüllung der diagnostischen Kriterien langjährig bestehen. Wenn auch nur eine deutliche depressive oder manische Phase vorliegt, muss die Diagnose entsprechend geändert werden. Man kann sie salopp vielleicht auch als Launenhaftigkeit bezeichnen.

Phasen

Innerhalb der Zyklothymie treten unterschiedliche Phasen mit verschiedenen Symptomen auf. Während einer depressiven Phase fühlen sich die Betroffenen häufig antriebslos, leiden unter Konzentrations- und Schlafstörungen (Ein- und/oder Durchschlafstörungen), zeigen ein vermindertes Selbstvertrauen oder sind weniger gesprächig als üblich. Auch weitere typische depressive Symptome können im Rahmen einer Zyklothymia auffällig werden, z. B. sozialer Rückzug, Interessenverlust oder Pessimismus hinsichtlich der Zukunft. Der Betroffene empfindet ein Gefühl der Niedergeschlagenheit und kann seiner eigenen Person nur noch in sehr geringem Maße Wertschätzung entgegenbringen. Er fühlt sich schuldig und wälzt Gedanken, ohne zu Lösungen zu kommen. Zwischen solchen Phasen, in denen die Stimmung nach oben oder unten ausschlägt, liegen oft Monate, in denen sie stabil bleibt.

Im Verlauf einer Periode mit gehobener Stimmung kann es zu einem vermehrten Antrieb und einem verminderten Schlafbedürfnis kommen. Oftmals zeigen Betroffene in dieser Phase auch ein erhöhtes Selbstwertgefühl, einen ungewöhnlich kreativen Denkstil und eine gesteigerte Gesprächigkeit. Auch das sexuelle Verlangen kann in einer solchen Phase gegenüber dem Normalzustand gesteigert sein. Neben einer guten Stimmung hat der Betroffene eine gesteigerte Aktivität im Berufs- und Privatleben. Dabei richten sich seine Handlungen häufig auf Dinge, die ihm Lust verschaffen, aber die Gefahr unangenehmer Folgen in sich bergen (risikoreichere geschäftliche Projekte, üppige Einkäufe, euphorisch geschlossene neue Kontakte). Er hat das Gefühl, mit wenig Schlaf gut auszukommen, ist ungewöhnlich gesprächig und fällt möglicherweise durch seine psychomotorische Unruhe auf. Gedanken und Themen, mit denen er sich befasst, wechseln schnell. Der Betroffene verfügt in dieser Phase über ein sehr hohes Selbstwertgefühl, das sich bis hin zu leichtem Größenwahn steigern kann.

Ursachen

Sowohl die Hypomanie als auch die leichte Depression können Reaktionen auf äußere Ereignisse sein oder sich einfach ohne ersichtlichen Grund entwickeln. Eine Zyklothymie wird meist im jungen Erwachsenenalter bemerkt. Häufig tritt sie bei Menschen auf, in deren Familie es Fälle von bipolarer Störung gab. Bei einem eher seltenen, negativen Verlauf der Zyklothymie entwickelt der Patient selbst eine bipolare Störung.
Übrigens: Im deutschen Sprachgebrauch werden die Begriffe Zyklothyme Störung, Zyklothymie und Zyklothymia heutzutage zumeist synonym gebraucht. Ursprünglich wurde der Begriff „Zyklothymie” 1880 von dem deutschen Psychiater Karl Ludwig Kahlbaum eingeführt, der damit die These betonen wollte, dass es sich bei den manischen und depressiven Episoden um „zyklie-rende” Phasen der gleichen Krankheit handelt. Auch aktuell wird der Begriff „Zyklothymie” aus diesen historischen Gründen im deutschen Sprachraum zum Teil noch anders verwandt als in den internationalen Diagnose-Systemen und in Anlehnung an Kahlbaum manchmal analog zu den Begriffen Bipolare Erkrankung oder Manisch-depressive Erkrankung genutzt.
Die Diagnose „Zyklothymie“ wird dann gestellt, wenn die Betroffenen für die Dauer von mindestens zwei Jahren unter zahlreichen Episoden mit hypomanen Symptomen und zusätzlichen zahlreichen Episoden mit depressiven Symptomen leiden. Die Dauer der einzelnen Krankheitsepisoden muss mindestens vier Tage betragen.

Behandlung

Viele Menschen mit einer Zyklothymie leiden unter ihrer starken Launenhaftigkeit. Nicht nur zwischenmenschliche und familiäre Beziehungen, sondern auch die beruflichen Leistungen können hierunter leiden. Betroffene sollten somit zumindest dahingehend geschult werden, dass sie ihre Gemütsschwankungen besser einordnen können und versuchen, die Stimmung zu stabilisieren. Empfohlen wird somit eine psychoedukativ und supportiv ausgerichtete Psychotherapie, ebenso können Stimmungsstabilisatoren (mood stabilizer) als Medikamente eingesetzt werden, wenn Betroffene dies wünschen. Auch darf nicht vergessen werden, dass die Zyklothymie auch ein Vorbote einer bipolaren Störung sein kann, die dann unbedingt behandelt werden sollte. Letztlich hängt die Art der Behandlung der Zyklothymie auch von dem individuellen Leidensdruck und Veränderungswunsch des Betroffenen ab. Sind die Symptome und der Leidensdruck stärker ausgeprägt, behandelt man wie bei einer Bipolaren Störung: Bei der Akuttherapie wird zunächst versucht, mithilfe sogenannter stimmungsstabilisierender Medikamente (Lithium) akute manische oder depressive Symptome zu lindern. Neben den verordneten Medikamenten helfen unterstützende psychiatrische Gespräche. Manchmal kann auch die stationäre Aufnahme in einer spezialisierten Klinik sinnvoll sein. Auch um einer nächsten Phase vorzubeugen, geht es darum, die Stimmungslage langfristig zu stabilisieren und einen Rückfall in eine depressive oder manische Episode zu verhindern. Häufig werden dabei Antidepressiva oder weiterhin Stimmungsstabilisierer wie Lithium verordnet. Daneben kann auch eine psychotherapeutische Langzeitbehandlung hilfreich sein, bei der Erkrankte darin unterstützt werden, (wieder) einen normalen Alltag zu führen. Die wichtigste Voraussetzung für eine gute Prognose ist jedoch, die Diagnose anzunehmen und zu lernen, langfristig mit ihr zu leben. In vielen Regionen gibt es Selbsthilfegruppen für Menschen mit einer Bipolaren Störung und deren Angehörige. Aktuelle Kontaktadressen finden Sie auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen.